Mittwoch, 25. Oktober 2006

Blond, Zug, laut...

Liebe blonde Dame im ICE am 28.09.2006 zum Frankfurter Flughafen. Sie haben einen schwarzen Trolley dabei und tragen einen ebenso schwarzen Blazer, dazu eine blaue Jeans. Sie sind wohl Mitte Dreißig.
Und: Sie telefonieren zu laut! Das stört, und vor allem plaudern Sie dabei Geschäftliches in das heimelige Großraumabteil des ICEs, das Sie sicher lieber im kleinen Kreise lassen wollten.

Nicht nur, dass Sie mir also den Genuss meines Buches nehmen (“Das Parfüm”), nein, Sie liefern auch noch Jochen E. (ich kürze diesen Zunamen mal lieber) ans akustische Messer. Mit dem wollen Sie morgen einen Herren in Mannheim besuchen. Da geht es in irgendeinem geschäftlichen Zusammenhang um die Maut. Telefonieren, nein, Schreien, tun Sie gerade mit einem Herren, von dem Sie 6400 KW wollen. Und der Vertrieb, den Sie gerade hochziehen, wird harter Wettkampf. Das haben Sie auch schon zu Dennis gesagt. Immerhin 35 Millionen im ersten Jahr. Das Alles ist, so führen Sie aus, reines Beziehungsmanagement. Da lachen Sie und die Mitfahrer stimmen ein. Sie lachen übrigens auch zu laut, schrill. Es sticht in meinem Ohr. Und dann kreischen Sie ein kaum enden wollendes “Congratulations!”. Liebe Dame, dieser Ausdruck in dieser Lautstärke steht Ihnen nicht. Mit Verlaub.

Ich freue mich, dass Sie gerade einen Neuen fürs Team gewinnen konnten. Heißt er Reinhard? Zwischenzeitlich reden Sie so unsäglich leise. Ach nein, richtig, Reinhard heißt ja Ihr derzeitiger Telefonpartner. Der sitzt bestimmt in einem Büro und redet leiser. Auch, damit nicht Alle mithören. Sie freuen sich jedenfalls über ihren Neuen. Der wollte eigentlich zu R+ oder Rplus, wer weiß das schon. Leider kommt der nicht aus der Branche, und bringt keine eigenen Kontakte mit. Aber, der passt ins Team. Und wie Sie wissen: Der ist vor allem noch bezahlbar, “hö, hö, hö”. Sie lachen komisch, wenn Sie telefonieren. Affektiert. Fast Kreischen Sie an manchen Stellen.

Sie steigen jetzt aus. Ich finde das schade. Fast würde ich jetzt gerne ein bisschen mehr so leben wie Sie. Auf der Überholspur. Laut, dröhnend. Das wäre mal ein Ziel. Stattdessen spüre ich wie mein Puls langsam wieder ruhiger wird, wie sich die feinen Härchen in meinem Gehörgang langsam wieder aufrichten, wie meine Muskulatur langsam beginnt sich wieder zu entspannen. Ich fühle, wie mein Atem tiefer und langsamer geht, wie sich die Mimik in meinem Gesicht entspannt.

Ich spüre, dass ich lächle. Ich fühle wieder.

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