Tod
Majs Mutter geht an dem Priester vorbei. Sie flieht. Sie geht zu ihrem Kind, das bleich und blaulippig, langsam auskühlend in dem Krankenhausbett liegt. Mit einem Laken zugedeckt, keine warme Decke. Sie zieht das Tuch über ihre Schulter, damit man die Einstiche nicht sieht. Die Einstiche, die entstanden bei dem Versuch ihr das Leben zu erhalten.
Kein Wunder, dass sie so kalt ist, denkt sie. Die Decke ist viel zu dünn. Sie nimmt die Hand des Kindes. Will sie wärmen.
Majs großer Bruder ist da. Carl ist da. Sie sind da. Mehr nicht. Die Zeit zieht sich zu Momenten zusammen. Der Schock ist so groß, dass sie alle nur kummerblaß und bewegungslos existieren und nicht mehr handlungsfähig sind. Nicht über das unmittelbare sitzen, stehen, schauen und schweigen hinaus.
Majs Vater kommt. Er schaut Majs Mutter an mit einem grenzenlosen Blick, der über alles Verstehen hinaus geht. Er beugt sich zu dem Kind hinunter, nimmt ihr Gesicht mit beiden Händen, zärtlich. „Ach, was ist denn nur mit dir, mein Schätzchen...“
Die Tür geht auf. Der Priester hat noch nicht aufgegeben.
Erst das konsequente Nein aller Anwesenden vertreibt den bösen Geist einstweilen.
Und sie verharren weiter in Handlungsunfähigkeit. Jeder für sich und Gott gegen alle.
Einschub: Die Ärzte nennen es Zwischenleben. Der Mensch ist (hirn-) tot, aber seine Zellen leben weiter, Minuten und Stunden, je nachdem, wie lange sie ohne den lebenswichtigen Sauerstoff auskommen können. Am empfindlichsten sind die Zellen des Gehirns. Sie sterben zuerst (8-10 Minuten), dann das Herz (15-30 Minuten), die Leber (30-35 Minuten), die Lunge lebt noch knapp eine Stunde und die Niere bis zu zwei.
Über 8 Stunden bleiben die Muskeln am Leben... An der Haut lassen sich bald erste Veränderungen erkennen. Unter der Haut wird das Netz der Venen sichtbar. Schon kurz nach dem Tod zeigen sich die bläulichen Leichenflecken, die entstehen, wenn das Blut im Körper, der Schwerkraft folgend, absinkt. Trotz dieser Veränderungen können die Schweißdrüsen der Haut aber noch über 30 Stunden arbeiten.... Nach 2 Stunden werden Muskeln unbeweglich. Ihre Energiespeicher werden langsam aufgebraucht und ohne Sauerstoff können sie nicht neu aufgefüllt werden. Die Muskelfasern verhaken sich, die Totenstarre setzt ein. Sie hält bis zu 2 Tagen an und löst sich dann wieder. Warum ist noch ungeklärt. Langsam erkaltet der Körper, je Stunde um ungefähr ein Grad. Je nach Umgebung können manchmal Tage vergehen, bis der Körper wirklich tot ist. (Quelle Qaurks&Co. Text: Martin Müller)
Bei der Suche nach Fakten über den Zustand in dem Majs Körper war, nachdem sie starb, findet die Ich-Erzählerin einen Link zu einer „Lebensuhr“ im Netz. Auf die Aufforderung des Formulars „enter your information“ gibt sie zunächst Majs Daten ein. Geburtsdatum, weiblich, ja, sie hat geraucht, nein sie war nicht übergewichtig. Die „Lebensuhr“ errechnet daraufhin den 24. Dezember 2047 als Todeszeitpunkt. Maj wäre also dieser zweifelhaften Prognose zufolge 64 Jahre alt geworden und an einem Weihnachtsabend gestorben. Die Seite verfügt ebenfalls über einen Sekundenrechner, der in diesem Fall eine Milliarde dreihundertdreiundvierzig Millionen, neunhundertundfünfzigtausendneuhundertvier Sekunden anzeigt und der kontinuierlich rückwärts läuft.
Majs Lebensuhr steht allerdings tatsächlich auf Null. Der Tod ist Stillstand.
Die Ich-Erzählerin gibt ihre eigenen Daten ein. Der Rechner offenbart ihr, dass sie am 11. Dezember 2052 sterben wird. Sie hätte also ihr Kind dennoch überlebt. Im gesegneten Alter von 94 Jahren würde ihre Trauer nicht geringer sein. Vorausgesetzt sie ist noch bei Verstand.
Carl, der doch auch jünger ist als sie, wird, glaubt man der Rechnerprognose, schon im April 2022 sterben. Sie wird also zu diesem Zeitpunkt die meisten Freunde verloren haben und nun auch noch das Kind.
Kein Wunder, dass sie so kalt ist, denkt sie. Die Decke ist viel zu dünn. Sie nimmt die Hand des Kindes. Will sie wärmen.
Majs großer Bruder ist da. Carl ist da. Sie sind da. Mehr nicht. Die Zeit zieht sich zu Momenten zusammen. Der Schock ist so groß, dass sie alle nur kummerblaß und bewegungslos existieren und nicht mehr handlungsfähig sind. Nicht über das unmittelbare sitzen, stehen, schauen und schweigen hinaus.
Majs Vater kommt. Er schaut Majs Mutter an mit einem grenzenlosen Blick, der über alles Verstehen hinaus geht. Er beugt sich zu dem Kind hinunter, nimmt ihr Gesicht mit beiden Händen, zärtlich. „Ach, was ist denn nur mit dir, mein Schätzchen...“
Die Tür geht auf. Der Priester hat noch nicht aufgegeben.
Erst das konsequente Nein aller Anwesenden vertreibt den bösen Geist einstweilen.
Und sie verharren weiter in Handlungsunfähigkeit. Jeder für sich und Gott gegen alle.
Einschub: Die Ärzte nennen es Zwischenleben. Der Mensch ist (hirn-) tot, aber seine Zellen leben weiter, Minuten und Stunden, je nachdem, wie lange sie ohne den lebenswichtigen Sauerstoff auskommen können. Am empfindlichsten sind die Zellen des Gehirns. Sie sterben zuerst (8-10 Minuten), dann das Herz (15-30 Minuten), die Leber (30-35 Minuten), die Lunge lebt noch knapp eine Stunde und die Niere bis zu zwei.
Über 8 Stunden bleiben die Muskeln am Leben... An der Haut lassen sich bald erste Veränderungen erkennen. Unter der Haut wird das Netz der Venen sichtbar. Schon kurz nach dem Tod zeigen sich die bläulichen Leichenflecken, die entstehen, wenn das Blut im Körper, der Schwerkraft folgend, absinkt. Trotz dieser Veränderungen können die Schweißdrüsen der Haut aber noch über 30 Stunden arbeiten.... Nach 2 Stunden werden Muskeln unbeweglich. Ihre Energiespeicher werden langsam aufgebraucht und ohne Sauerstoff können sie nicht neu aufgefüllt werden. Die Muskelfasern verhaken sich, die Totenstarre setzt ein. Sie hält bis zu 2 Tagen an und löst sich dann wieder. Warum ist noch ungeklärt. Langsam erkaltet der Körper, je Stunde um ungefähr ein Grad. Je nach Umgebung können manchmal Tage vergehen, bis der Körper wirklich tot ist. (Quelle Qaurks&Co. Text: Martin Müller)
Bei der Suche nach Fakten über den Zustand in dem Majs Körper war, nachdem sie starb, findet die Ich-Erzählerin einen Link zu einer „Lebensuhr“ im Netz. Auf die Aufforderung des Formulars „enter your information“ gibt sie zunächst Majs Daten ein. Geburtsdatum, weiblich, ja, sie hat geraucht, nein sie war nicht übergewichtig. Die „Lebensuhr“ errechnet daraufhin den 24. Dezember 2047 als Todeszeitpunkt. Maj wäre also dieser zweifelhaften Prognose zufolge 64 Jahre alt geworden und an einem Weihnachtsabend gestorben. Die Seite verfügt ebenfalls über einen Sekundenrechner, der in diesem Fall eine Milliarde dreihundertdreiundvierzig Millionen, neunhundertundfünfzigtausendneuhundertvier Sekunden anzeigt und der kontinuierlich rückwärts läuft.
Majs Lebensuhr steht allerdings tatsächlich auf Null. Der Tod ist Stillstand.
Die Ich-Erzählerin gibt ihre eigenen Daten ein. Der Rechner offenbart ihr, dass sie am 11. Dezember 2052 sterben wird. Sie hätte also ihr Kind dennoch überlebt. Im gesegneten Alter von 94 Jahren würde ihre Trauer nicht geringer sein. Vorausgesetzt sie ist noch bei Verstand.
Carl, der doch auch jünger ist als sie, wird, glaubt man der Rechnerprognose, schon im April 2022 sterben. Sie wird also zu diesem Zeitpunkt die meisten Freunde verloren haben und nun auch noch das Kind.
Simone Maresch - 2. Jun, 15:41
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