...ist gerade angebrochen.
Vielleicht sollte ich das Buch vom Tod doch nicht schreiben. Es kriegt mich.
Irgendwann hatte ich mir vorgenommen einen Tag zu trauern, vielleicht pro Woche, vielleicht pro Monat, wie es gerade so geht.
Jetzt drückt es mich und will raus, das Wirkliche und das aus meinen Gedanken dazugequetschte.
Ich fürchte mich, dass Armin nicht durchhält.
Ich fürchte mich, dass ich die entscheidenden Hürden nicht nehmen und das, was mich seit Majs Tod an Bildern immer begleitet, letztlich doch nicht hinschreiben kann.
Vielleicht hätte ich sie doch mit der überlegenen NLP-Technik wegtherapieren sollen? "Laß Dir helfen, Du dumme Nuß, sonst bist Du selbst schuld!"
Und dann: wer wird das lesen wollen?
Kann man erwarten, dass jemand ein Buch liest, dass ganz und gar aus (gefühlten) Tatsachen besteht, wenn der Text den Leser auf jeder zweiten Seite am Hals hat und würgt, bis das Weinen eintritt?
Vielleicht, wenn es über den Sommer schaffe.
Dann bleibt anderes liegen. Das sollte egal sein.
Ich muss endlich mal hinsehen. Hinschreiben. Genau dahin.
Ich sollte zu der bewährten Methode zurückkehren: morgen ist ein neuer Tag.
Simone Maresch - 4. Jun, 00:59
Systemisch interessant finde ich, dass sich immer wieder jemand bereit erklärt, mich konsequent undifferenziert wahrzunehmen.
Offenbar tauge ich gut als Projektionsfläche.
Die Sonne scheint wieder.
Simone Maresch - 3. Jun, 19:03
Majs Mutter geht an dem Priester vorbei. Sie flieht. Sie geht zu ihrem Kind, das bleich und blaulippig, langsam auskühlend in dem Krankenhausbett liegt. Mit einem Laken zugedeckt, keine warme Decke. Sie zieht das Tuch über ihre Schulter, damit man die Einstiche nicht sieht. Die Einstiche, die entstanden bei dem Versuch ihr das Leben zu erhalten.
Kein Wunder, dass sie so kalt ist, denkt sie. Die Decke ist viel zu dünn. Sie nimmt die Hand des Kindes. Will sie wärmen.
Majs großer Bruder ist da. Carl ist da. Sie sind da. Mehr nicht. Die Zeit zieht sich zu Momenten zusammen. Der Schock ist so groß, dass sie alle nur kummerblaß und bewegungslos existieren und nicht mehr handlungsfähig sind. Nicht über das unmittelbare sitzen, stehen, schauen und schweigen hinaus.
Majs Vater kommt. Er schaut Majs Mutter an mit einem grenzenlosen Blick, der über alles Verstehen hinaus geht. Er beugt sich zu dem Kind hinunter, nimmt ihr Gesicht mit beiden Händen, zärtlich. „Ach, was ist denn nur mit dir, mein Schätzchen...“
Die Tür geht auf. Der Priester hat noch nicht aufgegeben.
Erst das konsequente Nein aller Anwesenden vertreibt den bösen Geist einstweilen.
Und sie verharren weiter in Handlungsunfähigkeit. Jeder für sich und Gott gegen alle.
Einschub: Die Ärzte nennen es Zwischenleben. Der Mensch ist (hirn-) tot, aber seine Zellen leben weiter, Minuten und Stunden, je nachdem, wie lange sie ohne den lebenswichtigen Sauerstoff auskommen können. Am empfindlichsten sind die Zellen des Gehirns. Sie sterben zuerst (8-10 Minuten), dann das Herz (15-30 Minuten), die Leber (30-35 Minuten), die Lunge lebt noch knapp eine Stunde und die Niere bis zu zwei.
Über 8 Stunden bleiben die Muskeln am Leben... An der Haut lassen sich bald erste Veränderungen erkennen. Unter der Haut wird das Netz der Venen sichtbar. Schon kurz nach dem Tod zeigen sich die bläulichen Leichenflecken, die entstehen, wenn das Blut im Körper, der Schwerkraft folgend, absinkt. Trotz dieser Veränderungen können die Schweißdrüsen der Haut aber noch über 30 Stunden arbeiten.... Nach 2 Stunden werden Muskeln unbeweglich. Ihre Energiespeicher werden langsam aufgebraucht und ohne Sauerstoff können sie nicht neu aufgefüllt werden. Die Muskelfasern verhaken sich, die Totenstarre setzt ein. Sie hält bis zu 2 Tagen an und löst sich dann wieder. Warum ist noch ungeklärt. Langsam erkaltet der Körper, je Stunde um ungefähr ein Grad. Je nach Umgebung können manchmal Tage vergehen, bis der Körper wirklich tot ist. (Quelle Qaurks&Co. Text: Martin Müller)
Bei der Suche nach Fakten über den Zustand in dem Majs Körper war, nachdem sie starb, findet die Ich-Erzählerin einen Link zu einer „Lebensuhr“ im Netz. Auf die Aufforderung des Formulars „enter your information“ gibt sie zunächst Majs Daten ein. Geburtsdatum, weiblich, ja, sie hat geraucht, nein sie war nicht übergewichtig. Die „Lebensuhr“ errechnet daraufhin den 24. Dezember 2047 als Todeszeitpunkt. Maj wäre also dieser zweifelhaften Prognose zufolge 64 Jahre alt geworden und an einem Weihnachtsabend gestorben. Die Seite verfügt ebenfalls über einen Sekundenrechner, der in diesem Fall eine Milliarde dreihundertdreiundvierzig Millionen, neunhundertundfünfzigtausendneuhundertvier Sekunden anzeigt und der kontinuierlich rückwärts läuft.
Majs Lebensuhr steht allerdings tatsächlich auf Null. Der Tod ist Stillstand.
Die Ich-Erzählerin gibt ihre eigenen Daten ein. Der Rechner offenbart ihr, dass sie am 11. Dezember 2052 sterben wird. Sie hätte also ihr Kind dennoch überlebt. Im gesegneten Alter von 94 Jahren würde ihre Trauer nicht geringer sein. Vorausgesetzt sie ist noch bei Verstand.
Carl, der doch auch jünger ist als sie, wird, glaubt man der Rechnerprognose, schon im April 2022 sterben. Sie wird also zu diesem Zeitpunkt die meisten Freunde verloren haben und nun auch noch das Kind.
Simone Maresch - 2. Jun, 15:41
Die Fähigkeit der Menschen den anderen zu achten, mit ihm zu sympathisieren, ihn vielleicht sogar zu lieben, ohne dabei vorzugsweise auf die im Gegenzug gewährte Achtung, Sympathie oder Liebe zu reagieren, scheint wenig ausgeprägt zu sein.
Es scheint eher zu funktionieren wie bei den Kindergeburtstagseinladungen. Wer mich eingeladen hat, den lade auch ich ein. Wen ich einlade, von dem erwarte ich eingeladen zu werden.
Wie schnöde!
Simone Maresch - 2. Jun, 15:38
Bin lustlos heute.
Armin und Jule haben den "Vorstellungswelten"-Entwurf bis jetzt gelesen und fanden ihn gut.
Ich zögere, ihn weiter herumzureichen, das erhöht nur den Druck.
In jedem Fall bin ich überzeugt, die richtige Form gefunden zu haben.
Endlich!
Der Tag trübt so vor sich hin, vielleicht kriege ich gleich noch die Kurve.
Simone Maresch - 1. Jun, 11:58
Bei der Überlegung, was denn nun entscheidend beziehungszerstörerisch, im Sinne eines Durchbrechens einer Ausschließlichkeit, ist, komme ich zwangsläufig auf die alte Einteilung der Ebenen zurück.
- Intellekt - Gefühl - Libido -
In monogamen Beziehungen ist der Fall klar: als Bruch der Ausschließlichkeit wird die Öffnung für andere Menschen im Sexuellen begriffen.
Wie ist es aber, wenn man die Beziehungsinhalte um das Sexuelle kürzt, um so einen klareren Blick auf die anderen Ebenen zu haben?
In einem Forum für Asexuelle (www.asexualitiy.org/de/- Asexuelle sind Menschen die keine Sexualität mit anderen oder auch mit sich selbst leben ) ergibt sich folgender Dialog, den ich hier zitieren darf:
Fragen:
1.)
in einem Beitrag fand ich die interessante These, dass auch asexuelle Menschen "fremdgehen" können.
Wenn nicht in sexuellen Handlungen, worin besteht denn dann das "Fremdgehen"?
2.) Ist es in sexuell/asexuell gemischten Partnerschaften üblich oder eher unüblich, dass sich der sexuelle Partner die Sexualität "woanders" holen darf? Immer vorausgesetzt, das geschieht einvernehmlich? Gibt es da irgendwelche "Regeln"? Wenn es "nur" Sex ist, ist es ok? Verlieben darf man sich nicht, oder ähnliches?
Antwort:
Apollonia hat folgendes geschrieben:
Wenn nicht in sexuellen Handlungen, worin besteht denn dann das "Fremdgehen"?
vorwiegend im emotional-psychischen vertrauensbruch...
in vielen nicht-sexuellen romantischen partnerschaften ist es selbstverständlich, daß die partner eine vorrangstellung gegenüber anderen personen einnehmen. wenn ein partner dann eine intimität zu einer anderen person aufbaut, könnte sich der asexuelle verletzt fühlen...
Apollonia hat folgendes geschrieben:
Ist es in sexuell/asexuell gemischten Partnerschaften üblich oder eher unüblich, dass sich der sexuelle Partner die Sexualität "woanders" holen darf? Immer vorausgesetzt, das geschieht einvernehmlich? Gibt es da irgendwelche "Regeln"? Wenn es "nur" Sex ist, ist es ok? Verlieben darf man sich nicht, oder ähnliches?
das ist individuell unterschiedlich, man kann schwer verallgemeinern. es kommt immer darauf an, worauf sich die partner geeinigt haben.
es gibt jedoch einige fälle (siehe engl. AVEN), die deiner beschreibung einer separaten "sexpartnerschaft" nahekommen, d.h. wo der sexuelle partner seine physischen bedürfnisse mit einer drittperson auslebt, aber seine emotionale hauptbindung weiterhin der asexuelle partner bleibt.
Frage:
Was ist denn eine "Intimität" in dem Fall?
Ich denke, für Menschen die einen "Beziehungsmainstream" leben (heterosexuelle monogame Partnerschaft mit selbstverständlicher sexueller Treue) wäre eine Intimität immer so etwas wie körperliche Intimität, also auch Sex.
Ich glaube, die meisten Paare würden Eifersucht in anderen Bereichen (Hobbies teilen?) wohl eher extrem finden.
Innige Freunde beispielsweise teilen ja auch "Intimität" im emotionalen Bereich. Manchmal wissen beste Freundinnen mehr voneinander als die Partner.
Antwort:
das kann z.b. emotionale nähe oder seelische nähe sein. der kern des "nicht-sexuellen fremdgehens" besteht m.e. im grunde daraus, daß eine tiefe verbindung des partners zu jemandem anderen für einige asexuelle nicht tolerierbar ist und verletzend wirkt. auf welcher ebene (z.b. seelisch, emotional oder intellektuell) diese tiefe verbindung als vertrauensbruch wahrgenommen wird, und wo die grenzen zwischen "normaler" und "tiefer" verbindung liegen, ist natürlich individuell unterschiedlich. "fremdgehen" impliziert für mich jedenfalls auch, daß der fremdgehende partner die grenzziehung des asexuellen kennt und sie bewußt übertritt.
Frage:
würdest Du daraus schließen, dass
1.) Asexuelle deshalb tiefere Einsichten über die Natur ihrer Liebe überhaupt haben müssen, um "erfolgreich" eine Beziehung führen zu können?
2.) sie unter Umständen eifersüchtiger sind?
3.) sie vielleicht deshalb in allen anderen Bereichen, die für die beziehung von Belang sind, größere "social skills" entwickeln müssen?
Antwort steht noch aus.
Spannend bis dahin. Aber ich weiss noch nicht, was ich letztendlich für Schlüsse daraus ziehen kann.
Simone Maresch - 31. Mai, 17:34